Der Umgang mit Bildschirmmedien für unsere Kinder ist wohl für alle Eltern der digitalisierten Gesellschaften ein Thema. Wiebke Schomaker hat in ihrer Blogparade „Bildschirmzeit für Kinder“ dazu aufgerufen, die ganz unterschiedlichen Wege zu teilen, die Familien in dieser Hinsicht gehen. Da Fernsehen auch bei uns ein großes Thema ist, teile ich hier einmal, wie wir es machen und wie wir an diesen Punkt gekommen sind.
Inhalt
zwischen Teufelsmaschine und Durchatmen
Für unseren Erstgeborenen (hier Ac genannt) waren die ersten Berührungspunkte mit bewegten Bildern die Videos von ihm und der Familie, die wir über Messenger mit den Verwandten teilten. Das faszinierte ihn total und er forderte immer häufiger, phasenweise fast exzessiv, das gemeinsame Anschauen ein. Schon da spürten wir einen inneren Widerstand, denn die Ansicht „Fernsehen macht dumm“ saß bei uns beiden tief.
Natürlich benannten wir es nicht so. Wir beriefen uns auf angebliche Entwicklungsverzögerungen, die ja entstehen könnten, wenn Kinder nicht frei spielten, sondern nur hypnotisiert vor einem Kasten hockten. Wie viel Videozeit zu wie großen „Schäden“ führen sollte, das wussten wir eigentlich gar nicht so genau, also hatten wir einfach allgemein ein schlechtes Gewissen, dass wir dem Kind diese Teufelsmaschine zugänglich machten.
Trotzdem zeigten wir ihm irgendwann den „Kleinen Maulwurf“ auf dem Tablet, den die meisten Erwachsenen wohl noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Ich war mittlerweile wieder schwanger und körperlich wie beruflich am Limit, und so wurden die kurzen Clips von Maulwurf, Maus oder Elefant nach und nach zahlreicher und länger – und ich hatte wenigstens ab und an Zeit zum Durchatmen (oder Sachen zu erledigen).
von Geschichtenliebe und Tobsuchtsanfällen
Irgendwann in Acs drittem Lebensjahr stellten wir fest, dass es auch bei den großen Streamingdiensten ein breites Programm schon für die Kleinsten gibt, und für Ac tat sich eine neue Welt auf. Er liebte die Vielfalt der Geschichten, die ihm hier zur Verfügung standen! Und er liebte den hypnotischen Zustand, den wir alle vom Fernsehen kennen. Dieses Eintauchen ins Geschehen auf dem Bildschirm war unserem reizoffenen Kleinkind ein Leichtes – und wir wussten nicht so recht, was wir davon halten sollten.
Denn einerseits war es faszinierend, wie viel er dort beobachtete und lernte. Immer wieder stellte er uns abends beim Einschlafen aus heiterem Himmel Fragen zu dem, was er gesehen hatte – manchmal zu Sendungen, die Wochen zurücklagen. Andererseits waren die Kämpfe um das Ausschalten des Fernsehers episch. In der Spitze dauerte es an die 30 Minuten, bis Ac die Enttäuschung schreiend und heulend, bittend und bettelnd verarbeitet hatte. In dieser Zeit trafen wir eine erste Regelung: Nicht vor der Kita, nicht nach dem Abendessen, nicht mehr als 30 Minuten am Tag.
Um die Gefühlsstürme abzumildern, besorgte ich eine große Eieruhr, die die verbleibende Zeit visuell darstellt. Wir begannen, ihn jeweils in mehreren Etappen behutsam auf das Ausschalten vorzubereiten: „In zehn/fünf/zwei Minuten machen wir aus!“ Das Allerwichtigste für ihn: Wir gaben ihm selbst die Fernbedienung in die Hand, damit er den Aus-Knopf drücken konnte. Und tatsächlich gelang es ihm nach und nach immer besser, dann wirklich auszuschalten und sich anderen Dingen (oder dem Abendessen) zuzuwenden. Und eine weitere Angst war besänftigt: Mit diesem klaren Rahmen schien ihn diese Art von Reizflut nicht zu überlasten, sondern zu entspannen. So weit, so annehmbar.
vom Ausufern und Eindämmen
bedürfnisorientiert für Mama …
Mit dieser Regelung kamen wir so lange gut klar, bis ich in die Gründung meiner Coachingpraxis richtig einstieg. Jetzt gab es so viel zu tun, dass wir mit Bummelei beim Abholen oft erst nach 16:30 zu Hause ankamen, ausräumten, snackten … Und wenn die zuverlässig irgendwann eingeforderten 30 Minuten Fernsehzeit sich dem Ende neigten, wurde es für mich schon fast wieder Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Also ließ ich die Kiste immer öfter doch länger laufen. Kochen war schon schwierig genug mit einer mittlerweile Anderthalbjährigen am Bein (die sich für den Fernseher maximal zwei Minuten interessierte). So musste ich wenigstens nicht auch noch ihrem großen Bruder ständig irgendetwas bringen oder bei etwas helfen.
Da wir so spät erst in den gemeinsamen Nachmittag starteten, machte ich auch kaum noch Playdates aus – für höchstens anderthalb Stunden wagte ich kaum jemanden anzufragen, außerdem wurden fast alle anderen Kinder weit früher abgeholt und würden sicher nicht nach einem halben Nachmittag zu Hause noch mal losstiefeln für eine Verabredung, so mein Gedankengang. Mir selbst fehlt es allerdings durch mein ADHS bis heute oft an Gestaltungskraft für diese Nachmittage, und so neige ich sehr dazu, den Impulsen meiner Kinder zu folgen. Und da hängt nun mal schön sichtbar ein großer, glänzender Fernseher im Wohnzimmer …
… und Kinder?
Zudem war Ac nach so vielen Kitastunden oft einfach überreizt und brauchte dringend Zeit, um runterzukommen. Das Fernsehen als Möglichkeit für ihn, einfach mal abzuschalten – und für mich, in dieser Zeit selbst (oft zum ersten Mal am Tag) durchzuatmen –, erschien mir als durchaus legitime Win-Win-Situation.
Mit einer Sache hatte ich allerdings nicht gerechnet: dem Suchtfaktor. Ac verschlingt Geschichten genauso wie seine Mutter, die sich die Arbeit damit als Literaturübersetzerin ja sogar zum Beruf gemacht hat. Und so stellte ich immer öfter fest, dass er selbst bei den verlockendsten Unternehmungen nach der Kita einfach keinen Bock hatte, sondern lieber nach Hause wollte – zum Fernsehen, wie sich dann herausstellte, sobald wir ankamen.
Der endgültige Wendepunkt war ein Besuch meiner Mutter, die sich wirklich toll mit ihrer Enkelin At beschäftigte, während Ac sie ein ums andere Mal abwies und nichts von ihr wissen wollte. Dabei hatte er wirklich lange immer wieder gefragt, wann wir denn Oma wieder mal besuchen könnten – also irgendetwas stimmte da nicht. Irgendwann rückte er mit der Sprache raus: Oma sollte weggehen, damit er fernsehen könnte. Das saß.
Zeitenwende
Noch am selben Abend trafen wir die aktuelle Regelung: Seither wird nur noch am Wochenende ferngesehen. Ohne zeitliche Begrenzung, aber mit Augenmaß. Meistens ist es ein Film am Morgen, nach dem unter Gegrummel der Fernseher ausgemacht wird, und vielleicht noch eine Stunde Serienschauen während Ats spätem Mittagsschlaf. Dabei zwingen wir die Kinder übrigens nach Möglichkeit nicht zum Abbruch mitten in einem Abenteuer. Damit können wir alle gut leben und nehmen das sogar oft als Quality Time wahr, indem wir uns zu dritt oder zu viert aufs Sofa kuscheln (ja, mittlerweile auch mit der jetzt zweijährigen At).
Am meisten hat mich daran verblüfft, dass es keine Woche gedauert hat, bis Ac die neue Regel akzeptiert hat. Vermutlich auch deshalb, weil wir mit unserer Haltung da glasklar waren, während ich vorher doch sehr unentschlossen war, was Vor- und Nachteile anging. Natürlich versucht er immer noch ab und an zu verhandeln, aber die Tobsuchtsanfälle sind Vergangenheit (zumindest bei diesem Thema).
Mittlerweile hat Ac einen Hörspielkonsum, der seinesgleichen sucht. Und spielt beim Hören: Entweder er baut sich eine schöne Höhle dafür, oder er sucht sich eine stille Beschäftigung wie Malen, Bauen, Basteln, selbst Klettern oder Springen! Beim Vorlesen wählt er immer öfter Bücher aus, die mehr Text als Bilder haben – gerade streifen wir jeden Abend mit Ronja Räubertochter durch den Mattiswald.
Fazit
Unser Weg mit der Bildschirmzeit ist natürlich noch lange nicht abgeschlossen, At und Ac sind gerade mal zwei und knapp vier Jahre alt. Das Leben mit Kindern ist ein einziger großer Wandel, das wissen wir wohl alle. Trotzdem haben mich unsere Erfahrungen bis hierher schon einiges gelehrt:
- kindliche Bedürfnisse sind auch in dieser Hinsicht höchst individuell
- vor allem das nach Autonomie spielt bei Reglementierung eine wichtige Rolle (Stichwort: selbst ausschalten lassen)
- auch Elternbedürfnisse spielen bei diesem Thema eine große Rolle
- jedes Kind reagiert auf seine ganz eigene Weise auf Bildschirmmedien
- Fernsehen ist nicht per se schlecht, sondern ein Genussmittel unter vielen – birgt dadurch aber eben auch Suchtgefahr
- es kann den kindlichen Horizont erweitern
- Geschichten finden auf vielfältige Weise ihren Weg zu uns, und wir können immer wieder neu wählen, welche davon gerade am besten zu uns passt
- und das Hinterfragen und Anpassen von bisherigen Regelungen ist kein Eingeständnis von Versagen, sondern essenziell und kann Wunder bewirken.
Ich hoffe, dieser Einblick in unseren Umgang mit der Bildschirmzeit unserer Kinder schafft etwas Erleichterung da draußen. Meine eigenen Schuldgefühle zu diesem heiß diskutierten Thema waren groß, denn der erhobene Zeigefinger (oder die hochgezogene Augenbraue) ist nie weit, sobald frau* erzählt, wie viele Stunden es denn WIRKLICH sind in einer durchschnittlichen Woche.
Auch deshalb bin ich sehr froh, dass Ac nun seine Liebe zum Hörspiel entdeckt hat – denn wäre die Geschichte mit Oma nicht passiert, würde er wahrscheinlich heute noch so viel fernsehen und ich hätte immer noch ein schlechtes Gewissen.
Seid nachsichtig mit euch. Ihr tut alle euer Bestes, das weiß ich.
Liebe Freya,
vielen Dank für deinen spannenden Text zu eurer persönlichen Geschichte mit der Bildschirmzeit. Ich kann deine Stationen so gut nachfühlen – das war bei meiner eigenen Familie ganz ähnlich. Super, dass ihr für das jetzige Alter eine gute Lösung gefunden habt, die gut für alle passt!
Herzliche Grüße
Wiebke