Anstrengend

Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht – oder: Wie wohlmeinende Ratschläge mir das Herz brechen.

„Ich bin immer wieder baff, wie zufrieden At allein spielt. Bei Ac in dem Alter hätte ich nie den Raum verlassen können. Ich weiß noch: Einmal hab ich mich bei ihm im Laufstall auf den Boden gelegt und die Augen zugemacht, weil ich so übermüdet war, aber nicht weg konnte, weil er sich sonst vor Verlassensangst die Seele aus dem Leib geschrien hätte.“ Wie befreiend, es so auszusprechen. Und dass diese Zeiten hinter uns liegen.

„Ja, die zwei sind wirklich grundverschieden. Ac ist leider, man muss es so sagen, anstrengend.“ Autsch. Mein übersprudelndes kleines Wunder – anstrengend? Wobei ich das gerade auf der Hinfahrt noch selbst gedacht habe … Aber es von Dir so zu hören, tut trotzdem weh.

„Nun ja, für Ac ist die Welt anstrengender als für andere“, versuche ich zu erklären. Abzumildern. „Ich hab da kürzlich gelernt, dass es Menschen gibt, deren Nervensystem und Hormonspiegel physiologisch nachweisbar höhere Empfindlichkeit und Stresslevel bedingen. Das sehe ich bei Ac total, und es ist eine so riesige Erleichterung, das im Hinterkopf zu haben beim Umgang mit ihm. Ihn so anzunehmen, statt mich ständig zu fragen, ob ich was falsch gemacht habe. Zu wissen, dass es nicht an mir liegt.“

„Nein, natürlich liegt das nicht an dir. Aber du musst dich auch mal freimachen von dem Anspruch, keine Fehler machen zu wollen. Jede Mutter macht Fehler – es ist unmöglich, keine zu machen!“
„Ja, das weiß ich natürlich. Fällt mir trotzdem ziemlich schwer.“ Ratschläge annehmen zugegeben auch. Meine überhöhten Ansprüche an mich selbst sind immerhin schon Therapiethema, das weißt Du noch nicht. Also beiße ich die Zähne zusammen und rufe mir in Erinnerung, dass Du mir zu helfen versuchst.

„Ihr müsst aber auch vielleicht mal anders mit ihm umgehen“, fährst Du dann fort. „Es geht nicht, dass sich immer alles nur um ihn dreht. Es muss nicht jedes Bedürfnis sofort erfüllt werden – oder überhaupt. Manchmal geht das eben einfach nicht.“ Okay, jetzt bin ich wirklich auf Abwehr. Das BO-Thema ist ein wiederkehrender Konflikt zwischen Dir und mir. Atmen. Respektvoll bleiben. Du meinst es gut.

„Ja, und wann was geht und wessen Bedürfnisse in der Situation gerade wichtiger sind – seine, die seiner Schwester oder vielleicht sogar meine -, entscheide ich und handle danach.“ Ich bin stolz und froh, dass ich das so in Worte fassen konnte. Meine Grenze setzen, hoffentlich ohne Dich zu verletzen.

Und ich bin komplett erschöpft von diesem Austausch. Dabei weiß ich mit absoluter Sicherheit, dass Du uns alle liebst und nur das Beste für uns willst. Es fühlt sich nur nicht so an, wenn das Fundament unseres Umgangs mit unseren Kindern immer wieder so infrage gestellt wird. Und wenn Du mir sagst, mein über alles geliebtes Kind sei anstrengend. Obwohl ich es selbst oft genug denke.

Sprache schafft Realität. Ein kluger Mensch hat mal einem Kaninchen in den Mund gelegt: „Wenn du nichts Nettes zu sagen weißt, schweige“. Ersetze „nett“ durch „konstruktiv“, dann bin ich zu hundert Prozent dabei.

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