Das mache ich heute anders, weil ich Mutter bin

Vor dem Mutter*werden hatten (oder haben) wir alle so unsere Vorstellungen davon, wie das für uns aussehen soll. Meistens bewegen wir uns irgendwo auf dem breiten Spektrum zwischen „Ich führe mein Leben genauso fort wie jetzt, nur halt mit Kind“ und „Ich werde alles dafür geben, dass mein Kind die glücklichste Kindheit im perfekten Nest erlebt!“

Wenn es dann so weit ist, unser erstes Kind bei uns ist und wir diese neue Realität tatsächlich leben, stellen die allermeisten Frauen* fest, dass die ganz schön von dem abweicht, was wir uns vorher ausgemalt haben. Und vor allem beobachten wir uns dabei, wie wir ganz, ganz viele Dinge tun, die …

  • wir früher bei anderen Müttern* belächelt haben
  • gegen jede (einstige) Überzeugung gehen, wie eine „gute Mutter“ sich zu verhalten hat oder
  • uns vorher nicht mal als Konzept bekannt waren.

Und das alles ist nicht nur normal, sondern sogar essenziell für unseren Weg in eine souveräne Mutter*schaft im Einklang mit uns selbst. Diese Entwicklung hat sogar einen Namen: Matreszenz oder eingedeutscht Muttertät! Und sie ist eine Lebensphase, in der (nachweislich!) ebenso bedeutsame und tiefgreifende Veränderungen stattfinden wie in der Pubertät. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, findest du hier eine Einführung in das Thema – denn heute soll es um meinen persönlichen Wandel in dieser Zeit gehen.

Dieser Artikel ist Teil der gleichnamigen Blogparade von Sina Kunz. Dort findest du noch viele weitere witzige, bestärkende und emotionale Beiträge zu diesem Thema!

Strenge vs. Akzeptanz: Gefühle begleiten

Mich hat meine Mutterschaft vor allem eins gelehrt: Akzeptanz. Wo ich früher der Meinung war, mit genug Anstrengung und Wollen wäre alles erreichbar (wodurch ich mich dank meines erst jetzt diagnostizierten ADHS übrigens auch schon ständig minderwertig fühlte), bin ich heute bei einer ganz anderen Grundhaltung angekommen:

Das Gras wächst nicht schneller, wenn frau* daran zieht.

Und so sitze ich in der Drogerie an der Einpackstation mit meinem tobenden Kind am Boden und leihe ihm meine Ruhe und Kraft, bis seine Gefühle so weit reguliert sind, dass es sich wieder artikulieren kann. Dabei fand ich es früher so schlüssig, dass unerwünschtes Verhalten ignoriert oder durch Liebesentzug bestraft werden muss, um es schnellstmöglich abzustellen.

Mittlerweile habe ich unheimlich viel über Gefühle gelernt und dabei auch einen viel achtsameren Umgang mit meinen eigenen gefunden. Niemals würde ich meinen Kindern, die ihre Emotionen gerade erst kennenlernen, das antun, was die meisten Menschen meiner Generation noch erlebt haben: ihnen einreden oder auch nur vorleben, dass Gefühle zu unterdrücken und zu kaschieren seien, um nur ja keine Wellen zu schlagen.

Denn wenn ich will, dass meine Kinder einen guten Umgang mit ihren Emotionen lernen, dann brauchen sie die Gewissheit, dass alle Gefühle erlaubt sind und gefühlt werden dürfen. Denn da sind sie ja ohnehin. Also begleite ich (mehr oder weniger) geduldig einen Wutanfall nach dem anderen und erinnere mich daran, dass das alles Übung ist für diese kleinen Menschen. Dass sie mit jedem Mal besser lernen, sich selbst zu regulieren. Und dass ich niemandem Rechenschaft schuldig bin, was das Verhalten meiner Kinder angeht.

Dick & Doof – wie ich meine Kinder verhunze

Was ich früher nicht nur belächelt, sondern sogar verurteilt habe, waren Bildschirmzeit und Zucker für Kleinkinder. Wir kennen sie alle, die mahnenden Hinweise: Fernsehen macht dumm. Zucker macht hyperaktiv, dick und süchtig. Und natürlich wollte ich für meine Kinder nur das Beste!

Heute schauen beide Kinder (aktuell 2 und knapp 4 Jahre alt) jedes Wochenende ca. 2-6 Stunden fern. Eine Zeit lang waren es sogar täglich 1-2 Stunden. Und sie bekommen Süßigkeiten, wann immer sie danach fragen und schon etwas Nahrhaftes im Bauch haben. Und siehe da: Beide sind aufgeweckt, normalgewichtig (sogar eher zart für ihr Alter) und können ziemlich gut damit umgehen, wenn wir doch mal Nein sagen zu den Naschis (und dem Fernsehen).

Was hat sich geändert? Ich habe ein Gefühl dafür bekommen, was es für meine Ressourcen bedeutet, nonstop verfügbar zu sein. Kurz gesagt: Es übersteigt sie. Und wenn für vier Folgen Paw Patrol oder einen Film lang Ruhe herrscht, kann ich a) Dinge erledigen, ohne unterbrochen zu werden, und b) selbst zur Ruhe kommen. Manchmal setze ich mich auch einfach dazu, um meinem Gehirn eine Pause zu gönnen. Und weißt du, was? Meine Kinder lieben es. Für uns ist auch das Quality time, die wir gemeinsam genießen. Und tatsächlich bin ich positiv überrascht, was für tolle Kinderserien und -filme es mittlerweile gibt. Divers, bestärkend, lehrreich – es müssen ja nicht immer die Fellfreunde mit ihren Stereotypen sein.

Zum Thema Zucker hat mir eine Erkenntnis besonders geholfen: Süchte sind Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse. Ja, unser Körper liebt schnell verfügbare Kohlenhydrate – dafür sind wir Eltern die zwischengeschaltete Instanz mit einem Überblick über die ungefähre Menge an Süßkram, die gegebenenfalls die Grenze zieht, für die unseren Kindern noch die Weitsicht fehlt. Aber solange ich meinen Kindern ermögliche, auch auf andere Weise Glückshormone auszuschütten, bin ich völlig fein damit, wenn eine von vielen Optionen Gummibärchen sind.

Außerdem umgehe ich damit eine Entwicklung, die ich selbst durchlebt habe: Für meinen Bruder und mich gab es nur zum Geburtstag, zu Weihnachten und zu Ostern Süßigkeiten. Bis das irgendwann in meiner Jugend gelockert wurde, alle Dämme gebrochen sind und ich mich eine Zeit lang fast ausschließlich von Chips ernährt habe. Der Reiz des Verbotenen ist stark, warum also überhaupt erst so einen Pull-Faktor erschaffen?

Beruf oder Berufung?

Und schließlich hat mein Mutterwerden noch etwas ganz Essenzielles in mir ausgelöst: Ich bin wieder mit meinen eigenen Bedürfnissen in Kontakt gekommen. Und weil ich hingeschaut und reflektiert habe, mithilfe von Coaching, Therapie und viel klugem medialem Input (von Instagram bis hin zu Fachliteratur), bin ich nun auch in meinem Erwerbsleben auf einem ganz neuen Pfad: Ich coache selbst Mütter*, und mein Herz könnte nicht erfüllter sein.

Mein beruflicher Weg war von Anfang an eher eine Serpentinenstrecke – heute weiß ich, dass ich dank meinem ADHS immer dem Dopamin gefolgt bin. Wann immer ich mich nicht (mehr) wohlgefühlt habe, mir etwas zu groß erschien oder ich unterfordert war, habe ich einen neuen Pfad eingeschlagen. Und in meiner zweiten Elternzeit stand ich wieder an diesem Scheideweg: Mein altes Team sollte aufgelöst werden und ich innerhalb des Konzerns umverteilt. Mich nach drei Jahren Auszeit in einem unbekannten Team wieder ins Programmieren einarbeiten, das ich zuvor gerade mal ein Jahr lang ausgeübt hatte … Das war mir mehrere Kragenweiten zu groß. Alle anderen Optionen waren aber auch irgendwie so meh, also habe ich mich coachen lassen. Und eine Passion gefunden, die ich mir allein nie erträumt hätte.

Heute begegnen mir in der Arbeit mit meinen Klient*innen immer wieder neue Perspektiven, jede hat ihre ganz eigenen Themen und ihren ganz eigenen Umgang damit. Ich erlebe eine unheimlich starke Wirksamkeit, weil ich in jeder Sitzung aufs Neue meine Klient*innen zu tiefen Erkenntnissen begleiten kann, die ihnen ganz neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Und ich erfahre Wertschätzung für mein ganzes Sein – sowohl durch das Feedback meiner Klient*innen für meine Art des Coachings als auch schlicht durch das Vertrauen, das die Grundvoraussetzung dafür ist, dass sie sich in unseren gemeinsamen Sitzungen so öffnen können.

Das Muttersein hat mein Leben auf eine Weise verändert, die ich mir vorher nie hätte vorstellen können. Auf dieser Reise mit ihren immer wieder wechselnden Anforderungen und den ständigen Lernprozessen habe ich nicht nur neue Wege gefunden, mit Menschen und ihren Bedürfnissen umzugehen, sondern auch, mir selbst mehr Mitgefühl, Nachsicht und Geduld entgegenzubringen. Vor allem aber bin ich dankbar für diesen Prozess der Muttertät, der mich zu der Frau gemacht hat, die ich heute bin. Mit allen Änderungen.

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In regelmäßigen Abständen beleuchte ich darin Aspekte und Auswirkungen der Muttertät auf verschiedenste Lebensbereiche, um das Wissen über diese umwälzende Lebensphase zugänglicher zu machen. Damit mehr Mütter in eine wohlwollendere Haltung sich selbst gegenüber kommen können!