Mein Kinderwunsch war riesig. Als mein Partner dann endlich erklärte, er fühle sich jetzt auch bereit dafür, stürzte ich mich mit aller Energie in dieses Projekt. Verfolgte ab dem positiven Schwangerschaftstest jeden Entwicklungsschritt meines Babys per App. Trackte Symptome. Las Bücher über Bücher. Meldete uns im Geburtshaus an. Organisierte eine Nachsorgehebamme. Ich wusste: Ich mach das richtig gut.
Während es mir körperlich immer schlechter ging. Die zermürbende Ganztags-Übelkeit wurde so schlimm, dass ich ab der neunten Woche nicht mehr arbeiten konnte. Acht Stunden am Tag konnte ich mich kaum bewegen, manchmal nicht einmal sprechen. Im vierten Monat war ich psychisch so am Ende, dass ich mir therapeutische Unterstützung holte. Und weißt du, was dort mein allererster Satz war?
„Ich fühl mich so schuldig.“
Schuldig, dass ich phasenweise wünschte, ich müsste nicht mehr existieren, weil ich dann auch diese grauenvolle Übelkeit nicht mehr ertragen müsste. Schuldig, dass ich diesen Gedanken auch nur denken konnte. Denn zu was für einer Mutter machte mich das bitte? In meinem Kopf war das der ultimative Verrat an meinem ungeborenen und so herbeigesehnten Kind.
Die Therapeutin damals schaffte es, mir klarzumachen, dass meine Erschöpfung gerechtfertigt war. Aber wo die Wurzel dieser Schuldgefühle lag, habe ich erst viel später verstanden:
Wir alle haben ein Bild im Kopf, wie eine Mutter* zu sein hat. Und dazu gehört, dass sie immer und ausnahmslos das Beste für ihr Kind will. Und es ihm mühelos geben kann.
Dass diese Vorstellung erst im 18. und 19. Jahrhundert geschaffen wurde und nichts mit der Realität zu tun hat, wusste ich nicht. Damals schrieben zuerst Jean-Jacques Rousseau und später Johann Heinrich Pestalozzi „der Mutter“ die quasi heilige Bestimmung zu, als Wahrerin der Familie zu dienen. Und als kluge Philosophen lieferten sie die Begründung gleich mit: Es sei die naturgegebene Rolle der Frau. Ihr Auftreten in der Öffentlichkeit und Interesse an Kultur oder gar Politik sei dagegen widernatürlich und stürze damit gleich auch ihre armen Kinder ins Verderben.
Diese Behauptung kam natürlich denen gelegen, die ihre Privilegien im Patriarchat zementieren wollten. Und so fanden sich weitere geachtete Männer, die Theorien zur „wissenschaftlichen“ Untermauerung aufstellten. Über die Jahrhunderte entstand so die bis heute in unseren Köpfen verankerte Vorstellung eines „Mutterinstinkts“.
Bloß zeigt die jüngere, evidenzbasierte Forschung mittlerweile eindeutig: Diese Idee, frau* wüsste naturgemäß spätestens mit der Geburt ihres Kindes instinktiv, was fortan zu tun ist, ist schlicht Humbug.
Das Mutter*werden ist wie alles andere im Leben auch ein Prozess. Und der dauert. Etwas, das wir nie zuvor gemacht haben, können wir nicht auf wundersame Weise plötzlich einfach so perfekt meistern.
Nein, wir werden gut darin, weil wir es üben. Weil wir uns darüber informieren. Weil wir Arbeit hineinstecken und uns richtig Mühe geben. Und die Natur macht es uns leichter, indem sie mit dem Bindungshormon Oxytocin eine Veränderung in uns anstößt, die unser Gehirn für genau diese Aufgaben neu strukturiert: die Matreszenz.
Der Clou daran ist: Oxytocin wird durch Nähe ausgeschüttet. Unser Gehirn passt sich den neuen Herausforderungen also an, weil wir unsere Kinder zugewandt umsorgen – nicht anders herum. Darum erleben auch Adoptiveltern diese Matreszenz. Und auch bei voll involvierten Vätern sind solche Veränderungen belegt.
Heute ist also zweifelsfrei nachgewiesen: Der angeborene Mutterinstinkt ist ein Mythos.
Hätte ich das mal früher gewusst.
Denn da lag ich nun und konnte nicht mehr – in einer Situation, von der ich glaubte, sie wäre mein ultimativer Daseinszweck. Klar habe ich mich da furchtbar gefühlt. Und noch viele weitere Male.
Als ich zum Beispiel drei Wochen nach der Geburt haltlos heulend im Bett lag, weil der Schlafmangel unerträglich wurde. Oder als ich aus demselben Grund mein Kind mit einem Jahr abstillte. Als ich wieder schwanger wurde und die Beschwerden mich so sehr einschränkten, dass ich kaum noch mit meinem Erstgeborenen spielen konnte.
Mit dem, was ich heute über das Mutter*werden weiß, schaue ich viel mütterlicher auf mich selbst. Ich gestehe mir zu, nicht für alles eine Lösung zu haben und manchmal nicht mehr zu können. Und ich weiß, dass ich nicht allein bin mit meinen Zweifeln und meiner Hilflosigkeit.
Und das bist du auch nicht.
Wir wachsen alle erst hinein in diese monumentale Aufgabe. Und wenn du dir dabei einfühlsame Unterstützung wünschst, die mit den Herausforderungen vertraut ist, vor denen wir da stehen, lass uns reden.
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