Steile These

Ich wage eine steile These:

Keine seelisch gesunde Sorgende würde jemals Kinder anderer Menschen töten.

Dürften wir Frauen ohne Unterdrückung einfach liebevoll (unsere) Kinder in die Welt begleiten – ganz gleich, ob per Schwangerschaft, Adoption, Pflege, Betreuung oder sonstwie – UND säßen in den Schaltzentralen der Macht, dann gäbe es keinen Krieg.

Die Entscheidungspositionen wären besetzt mit Menschinnen, die menschliches Leben als das Kostbarste und vor allem Schützenswerteste auf der Welt anerkennen, ganz gleich, wo es aus wessen Schoß entsprungen ist.

Die Kinder dieser Menschinnen wären sich ihres Werts gewiss, sie müssten nicht darum kämpfen, gesehen, anerkannt und emotional wie physisch versorgt zu werden. Sie würden nicht in eine solche Verzweiflung verfallen, dass sie kein anderes Mittel sehen, als das, was sie brauchen, anderen wegzunehmen.

Diese Kinder würden lernen, ihre Wut anzunehmen und als Anstoß zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu verstehen. Und sie würden von ihren Bezugspersonen lernen, dass der Weg zur Erfüllung dieser Bedürfnisse immer über die Kooperation geht. Was ich mir selbst nicht geben kann, ist nur durch andere zu erlangen. Und andere geben ab, wenn sie etwas zu geben HABEN.

Demnach wüssten diese Kinder: Wenn es allen gut geht, geht es auch mir gut. Sie würden alles daran setzen, dass es ihnen IN UND MIT IHREM UMFELD gut geht. Alles ist vernetzt, alles wirkt aufeinander ein.

Deshalb entsetzt es mich jedes Mal wieder so sehr, wenn ich von Menschen lesen muss, die von anderen gequält und getötet werden. Weil all diese Menschen einmal Säuglinge waren, hilflos und weich und von ihren Sorgenden verzweifelt geliebt.

In solchen Augenblicken wird mir schmerzlich bewusst, welch ein riesiges und zugleich völlig zufälliges Privileg es ist, dass ich hier als weiße Frau im reichen Deutschland in meiner sicheren Wohnung sitze und Blogartikel schreiben kann, während anderswo Menschenkinder sinnlos ausgelöscht werden.

Und es macht mich wütend, dass das so ein Privileg ist. Dass Männer entscheiden, sie müssten haben/kriegen/herrschen, und dafür das von Frauen geschenkte Leben mit Füßen treten. Ich würde an dieser Stelle gern eine Pointe liefern, die diese Wut auflöst, aber ich habe keine. Wir sitzen im Patriarchat und müssen diese Dissonanz gerade aushalten.

Nur im ganz Kleinen, im Wurzelgeflecht unserer Gesellschaften, können wir beginnen, die Liebe über den Besitz zu stellen. Das Leben und seine Unversehrtheit als höchstes Gut zu schätzen. Und es macht mich so müde und traurig, dass das überhaupt eine Aufgabe sein muss.

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