Noch immer wissen viel zu wenig Menschen, dass es die Muttertät oder Matreszenz überhaupt gibt. Deshalb freue ich mich riesig, dass ich bald einen Workshop dazu bei den Ahoi Mamas in Hamburg-Ottensen anbieten darf! In diesem zweistündigen Mitmach-Seminar können sich sechs bis acht Mütter* in vertrauensvoller, geschützter Runde dem Thema nähern und einen Eindruck davon bekommen, in welchen Dimensionen es sie ganz individuell betrifft. Im Vorfeld durfte ich Maike von den Ahoi Mamas schon ein paar Fragen zum Thema Muttertät beantworten. Das Interview ist zuerst auf Maikes Website als Stillberaterin und bei den Ahoi Mamas erschienen.
Maike: Freya, du bietest systemisches Coaching für Mütter an, vor allem wenn sie gerade in der Muttertät stecken. Im Oktober leitest du bei den Ahoi Mamas einen Thementag dazu. Aber was ist das eigentlich, die Muttertät?
Freya: Die Muttertät ist im Grunde eine Lebensphase, genau wie die Pubertät – eine Identitätsentwicklung. Die entsprechenden Veränderungen im Gehirn sind mittlerweile sogar durch bildgebende Verfahren nachgewiesen.
Maike: Und in welchem Zeitraum findet sie statt?
Freya: Sie beginnt mit dem Einsetzen der vollen Fürsorgeverantwortung – bei manchen nach der Geburt, bei anderen in der Schwangerschaft und teilweise sogar schon mit einsetzendem Kinderwunsch. Die intensivste Zeit sind die ersten zwei bis drei Jahre nach der Geburt oder Adoption des Kindes, aber ein Ende dieser Lebensphase ist nicht wirklich gesetzt – im Grunde geht sie so lange, wie man Fürsorge betreibt.
Maike: Was genau passiert denn in der Muttertät?
Freya: In der Forschung kristallisieren sich fünf unterschiedliche Ebenen heraus, auf denen Veränderungsprozesse stattfinden: biologisch, psychisch, sozial, kulturell und spirituell. Biologisch gesehen verändert sich neben dem Körper von Gebärenden vor allem auch die Hirnstruktur und das Hormongleichgewicht aller Eltern. Aus psychologischer Sicht ändern sich Gedanken und Gefühle dazu, was der Person wichtig ist und wie sie ihre Welt wahrnimmt. Die soziale Komponente betrifft Beziehungen – wie verändern sich diese, welche werden tiefer, welche fallen eventuell sogar weg. Mit kulturellen Veränderungen ist der Status von Eltern in der Gesellschaft gemeint. Fürsorge-Arbeit wird heute meistens als selbstverständlich angesehen, obwohl sie so anspruchsvoll ist und unglaublich viel Energie fordert. Das kann gerade für Mütter sehr frustrierend sein. Als letzer Punkt wird in der psychologischen Forschung die persönliche Spiritualität betrachtet, die sich sowohl vertiefen als auch verändern kann. Wir sind auf gewisse Weise durch unsere Kinder noch mal anders mit der Welt verbunden – daraus entsteht häufig eine Sehnsucht, das auch zu würdigen und im eigenen Leben spürbar und sichtbar zu machen.
Maike: Wenn du all das beschreibst, klingt es, als würden diese Veränderungsprozesse auch für den Vater gelten können?
Freya: So ist es! Auch Väter, Co-Mütter, Adoptivmütter und alle anderen Personen, die in eine Phase der vollen Fürsorgeverantwortung gehen, durchleben diese spannende Reise. Je enger der Kontakt zum Kind ist, desto mehr Oxytocin wird ausgeschüttet – das führt zu deutlichen Veränderungen in der Hirnstruktur. Dadurch werden wir zum Beispiel aufmerksamer, entwickeln ein stärkeres Risikobewusstsein oder feinere Antennen für die Gefühle und Bedürfnisse anderer. Bei diesem Umbau kickt der Körper quasi alles an Nervenverbindungen raus, was unwichtig geworden ist, und strafft so die neuronalen Prozesse: Das Gehirn wird schlanker und schneller. Das ist tatsächlich die gleiche Art von Umstrukturierung wie in der Pubertät und hat auch den gleichen Umfang.
Maike: Bedeutet das, dass es den sogenannten „Mutterinstinkt“ gar nicht gibt?
Freya: Genau das bedeutet es. Es ist erwiesen, dass beide Elternteile gleichermaßen fürsorglich mit dem Kind sein können, wenn sie sich zu gleichen Teilen verantwortlich fühlen. Eine meiner Mentorinnen drückt es so aus: „Nachts aufzuwachen ist eine Entscheidung.“ Übersetzt heißt das: Wer sich verantwortlich fühlt, wird auch aufwachen, wenn das Kind Geräusche von sich gibt – weil das Gehirn sich auf diese neue Anforderung einstellt. Das hat nichts mit einem angeborenen „weiblichen Instinkt“ zu tun.
Maike: Was bedeuten diese Veränderungen denn für die Partner*innenschaft?
Freya: Ich sehe es so, dass es eine große Chance für Eltern sein kann, als Paar noch enger zusammenzuwachsen. Tatsächlich klappt das am besten, wenn beide miteinander darüber sprechen können, was sie fühlen, brauchen und sich wünschen. Dazu gehört aber natürlich erstmal, dass sich beide überhaupt darüber bewusst sind, was sie fühlen, brauchen und sich wünschen. Und genau da komme ich mit meiner Arbeit ins Spiel. Ich coache Mütter* darin, sich in ihrer neuen Lebensphase zurechtzufinden. Die Bandbreite und Intensität der Gefühle in der Mutter*schaft ist gigantisch – ich unterstütze sie darin, in diesem Urwald Klarheit für sich zu schaffen. Wichtig ist dabei auch, die eigenen möglicherweise unerfüllten Bedürfnisse nicht als Vorwurf an das Gegenüber zu formulieren, sondern als Ich-Botschaft zu senden: „Wenn ich heute komplett allein die Verantwortung trage, fühle ich mich überfordert“ klingt anders als „wenn du mich heute wieder allein lässt, dann schaffe ich das nicht.“
Maike: Seit wann laufen eigentlich die Forschungen zu diesem spannenden Thema?
Freya: Tatsächlich erst seit 2008, beginnend in der Psychologie. Die ersten neuropsychologischen Forschungsergebnisse auf Basis von bildgebenden Verfahren stammen von 2017. Zum Glück wächst die Forschung in diesem Bereich stetig, sodass es mittlerweile einiges mehr an belastbarem Wissen zur Matreszenz (so heisst sie im Fachjargon) gibt, aber es sind natürlich noch viele weitere Fragen offen.
Maike: Gibt es noch etwas, das dir besonders wichtig ist, zu sagen?
Freya: Oh ja! Ich wünsche mir für alle Mütter* so sehr, dass sie sich vom äußeren und inneren Druck lösen können, irgendetwas beweisen zu müssen. Denn dann können sie anfangen, neugierig zu werden – auf das, was sie und ihr Kind gerade brauchen. Auf das, was zu ihnen passt. Was sich jetzt gerade richtig anfühlt. Das ist so eine tolle Chance, uns selbst zu entdecken: Als die Frauen*, zu denen wir uns als Mütter* weiterentwickeln.
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